Habilitationen

Habilitationen

An August Bebels Analyse des Antisemitismus als Erscheinungsform eines fortschrittsfeindlichen, primitiven Antikapitalismus orientierte sich die deutsche Sozialdemokratie bis in die 1930er Jahre. Doch antijüdische Angriffe deutschnationaler und völkischer Akteure auf die junge Republik erzwangen eine Revidierung dieses Konzepts. Nach dem November 1918 erkannte die Sozialdemokratie im politischen Antisemitismus auch ein antirepublikanisches Instrument reaktionärer Parteien. Aber die Erkenntnis, die im Kampf gegen die DNVP nutzte, behinderte sie in der Abwehr des Nationalsozialismus.
Die Studie rekonstruiert erstmals die Auseinandersetzungen der deutschen Sozialdemokratie mit dem Antisemitismus in der Weimarer Republik. Sie beschreibt die sozialdemokratischen Maßnahmen gegen den Judenhass und zeigt, warum die Hegemonie des Antizionismus in der SPD im Laufe der 1920er Jahre brüchig wurde.

Kontakt: chdietrich@europa-uni.de

Bis heute wird das deutsch-jüdische Verhältnis zumeist als die – versuchte, gescheiterte und schließlich verworfene – Geschichte einer „Symbiose“ verhandelt. An der Grundeinstellung dieser in ihrem Ursprung biologistisch konnotierten und eigens zu historisierenden Bezeichnung hat auch Dan Diners Wendung von einer „negativen Symbiose“ nur wenig geändert. Das literatur- und kulturwissenschaftlich verortete Forschungsprojekt unternimmt daher den Versuch, die Begegnung von deutschsprachigen Juden und Nichtjuden seit dem 18. Jahrhundert ausgehend von dem ganz anders perspektivierten Begriffsfeld der Freundschaft zu verstehen. Es folgt darin der Blickverschiebung zu den versuchten freundschaftlichen Begegnungen Einzelner, die bereits Gershom Scholem angeregt hatte, und eröffnet durch den Anschluss an die Tradition des Freundschaftsdenkens seit Aristoteles zugleich ein ganz anderes begriffliches und diskursiven Feld der Beschreibungs- und Analysemöglichkeiten. Dabei soll die Bedeutung der jeweiligen Freundschaft und ihrer Konfliktmomente nicht nur anhand (auto-)biographischer Quellen, sondern gerade auch anhand der literarischen und essayistischen Werke der Freunde, ihrer gegenseitigen Einflussnahme und Abgrenzung voneinander, genauer untersucht werden. Zu den Erkenntniszielen zählen damit nicht nur fallspezifische Einsichten durch literaturwissenschaftlich ausgerichtete Einzelanalysen, sondern auch eine systematisch und diskursiv am Begriffsfeld der Freundschaft neu ausgerichtete literaturgeschichtliche Perspektive auf das deutsch-jüdische Verhältnis.

Kontakt: michaelis@europa-uni.de

Mein 2020 abgeschlossenes Habilitationsprojekt vergleicht signifikante kulturelle Selbstentwürfe im Europa des Kalten Krieges und legt dabei den Schwerpunkt auf Geschichte und Literatur als zentralen Diskursen der nationalen Identitätskonstruktionen. Wie haben Geschichts- und Literaturwissenschaftler den ‚Ort’ bestimmt, an dem sich die europäischen Gesellschaften in der Nachkriegszeit sahen und den sie im Ost-West-Spannungsfeld konkurrierender Vorstellungen von politischer und gesellschaftlicher Ordnung (kultur-) historisch zu legitimieren versuchten? Beispielhaft habe ich das Werk je eines Historikers und je eines Literaturwissenschaftlers aus Frankreich, den beiden Deutschland und Polen gewählt, mit dem sie an den wissenschaftlichen Aushandlungsprozessen der ersten beiden Nachkriegsjahrzehnte einen wichtigen Anteil hatten (dass keine Frau darunter ist, resultiert aus der männlichen Dominanz in den Wissenschaftssystemen der Zeit): Fernand Braudel und Robert Minder (Frankreich), Werner Conze und Ernst Robert Curtius (BRD), Walter Markov und Werner Krauss (DDR) und Oskar Halecki und Czesław Miłosz (Polen bzw. us-amerikanisches Exil). Im Ergebnis zeigt sich, dass gemessen am Werk dieser acht Wissenschaftler Europa bis in die sechziger Jahre hinein weit mehr mit der sozial- und kulturhistorischen Selbsterforschung befasst war als mit einer Orientierung an den es nun beherrschenden Weltmächten. Es begegnet einem in ihren Texten weit mehr ungeteilt gedachtes Europa als Kalter Krieg. Was sie erlebten, war in ihren Augen Teil einer das 20. Jahrhundert insgesamt kennzeichnenden Krise spezifisch europäischen Ursprungs und sie erklärten sich für ihre Überwindung weiterhin mit zuständig. So wird deutlich: Vom beherrschenden Bild des iron curtain muss man sich lösen, geht es um die Geschichte der europäischen Geistes- und Kulturwissenschaften im Systemkonflikt.

Kontakt: picht@europa-uni.de

Ziel meines Habilitationsprojekts ist, Literaturgeschichte aus postmigrantischer Perspektive neu zu schreiben. Als Beispiel dafür dient das österreichische literarische Feld. Schriftsteller*innen, die selbst Immigrant*innen oder Nachkommen von Immigrant*innen sind, werden in diesem Neuansatz nicht einfach als Ergänzung einer bestehenden Literaturgeschichte gesehen. Vielmehr will postmigrantische Literaturgeschichte erklären, wie sich literarische Felder durch Immigration veränderten. Sie befasst sich in einem ersten Schritt mit der Ausgrenzung, die Immigrant*innen und deren Nachkommen durch die Nationalisierung von Literaturen erfahren haben, um anschließend zu analysieren, wie und wie weit es ihnen gelungen ist, sich dieser Ausgrenzung zu widersetzen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem Kampf um Anerkennung. In diesem Prozess erhalten die Autor*innen schrittweise Aufmerksamkeit von Verlagen, Kritik und Wissenschaft und tragen damit zu einer Öffnung dieser literarischen Strukturen bei. Mittel dieses Kampfes sind ihre literarischen Werke, die grundsätzlich homogene Vorstellungen von Identitäten, Kulturen und Nationen in Frage stellen, selbst wenn sie sich nicht explizit mit Migration befassen. Vielmehr kann auch die Tatsache, dass sie das nicht tun, eine Form des Widerstands gegen die Kategorisierung als Migrant*in darstellen. Die Publikation und kritische Diskussion dieser Texte werden in der postmigrantischen Literaturgeschichte als Zeichen eines konkreten Veränderungsprozesses gelesen. Sie gelten als Schritte der Überwindung von Ausgrenzungsmechanismen, die sich im Zuge der Nationalisierung als selbstverständlich etablierten. Das bedeutet methodisch, über die Werkanalyse hinauszugehen, um zu erfassen, wie weit die neuen Gesellschaftsvorstellungen, die sich in den Werken ausdrücken, auch über das Feld hinaus Gehör fanden. Mein Habilitationsprojekt entwirft auf Basis von Pierre Bourdieus Arbeiten einen literaturwissenschaftlichen Neuansatz, um postmigrantische Literaturgeschichte zu schreiben und wendet diesen auf das österreichische literarische Feld an.

Wiebke Sievers ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Östereichischen Akademie der Wissenschaften.

Die Habilitation basiert auf dem Projekt Literature on the Move.

Kontakt: wiebke.sievers@oeaw.ac.at